DGVS JahrespressekonferenzErnährungsmedizin spielt in deutschen Krankenhäusern eine unzureichende Rolle

Leandra Oeschey

Die Ernährung ist ein Alltagsthema und spielt sowohl in der Prävention als auch Therapie zahlreicher Krankheiten eine nicht unbedeutende Rolle. Und auch in der Gastroenterologie gewinnt das Thema immer mehr an Relevanz. Vor allem der als „Western-Diet“ bekannte Ernährungsstandard vieler Menschen in Industrienationen führt zu steigenden Prävalenzen von Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes aber auch von Lebererkrankungen wie der Fettleberhepatitis. Experten warnen vor einer ‚Welle, die über dem Gesundheitssystem zusammenzubrechen drohe‘, wenn nicht gehandelt werde.

Prostock-studio/stock.adobe.com

Als gesunde und ausgewogene Ernährung empfehlen die Experten die sogenannte "mediterrane Kost": Viel Gemüse, Obst, Fisch, gesunde Öle und Ballaststoffe sowie wenig verarbeitetes Fleisch und wenig verarbeitete Kohlenhydrate.

Eine professionelle Ernährungsberatung durch spezialisierte Teams ist bislang in vielen deutschen Krankenhäusern noch immer selten und auch sonst sei das Thema Ernährung noch nicht in der Breite der Bevölkerung angekommen, wie führende Gastroenterologen kritisieren. Auf der Jahrespressekonferenz nutze die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) daher die Gelegenheit, um auf die Rolle der Ernährung in Prävention und Therapie gastroenterologischer Erkrankungen aufmerksam zu machen.

Auch für Mangelernährung sensibilisieren

Dabei komme es nicht nur darauf an, das Bewusstsein für eine ausgewogene und gesunde Ernährung stärker in der Bevölkerung zu verankern, sondern auch das Bewusstsein für Mangelernährung zu stärken, so Prof. Dr. Thomas Frieling, Chefarzt der Medizinischen Klinik II im Klinikum Krefeld. Er kritisiert, dass die Mangelernährung in deutschen Krankenhäusern häufig unterrepräsentiert sei und auch beim medizinischen Fachpersonal ungenügend Kenntnis darüber herrsche. Dabei konnte eine deutschlandweite Studie [1] nachweisen, dass etwa ein Drittel aller Neuaufnahmen in deutschen Krankenhäusern eine Mangelernährung aufweisen. Dies gehe ursächlich auf die Erkrankung des Patienten zurück, könne aber auch auf die generelle Fehlernährung vieler Deutscher zurückgeführt werden. Dabei kann eine Mangelernährung vor allem vor geplanten größeren Operationen zum Problem werden und übergreifende Ernährungsstrategien erforderlich machen. Leider fehle es hierfür an vielen Krankenhäusern noch immer an professionellen Ernährungsteams, so Prof. Frieling. Der Experte schlägt zudem vor, bereits bei Erstkontakt mit dem Patienten ein Screening auf den Ernährungszustand durchzuführen, was mithilfe validierter Scores einfach durchzuführen sei und im Klinikum Krefeld bereits seit Jahren erfolgreich umgesetzt werde.

Ernährungstherapie immer vor medikamentöser Therapie

Neben der Mangelernährung hat man es in der Gastroenterologie aber vor allem mit Erkrankungen zu tun, die durch einen ungesunden Lebensstil, d.h. eine fett- und zuckerreiche Ernährung gepaart mit Bewegungsarmut, bedingt seien. Allen voran ist hier die nicht-alkoholische Fettleber (NAFLD) zu erwähnen, bei der Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Präsident der DGVS, von einem Massenphänomen spricht. Schätzungen zufolge haben etwa 30 Millionen in Deutschland Fett in der Leber eingelagert [2] – Prävalenz steigend! Nicht selten entwickeln Patienten mit NAFLD eine nicht-alkoholische Steatohepatitis (NASH), wodurch sich das Risiko für eine Leberzirrhose erhöht. In Europa ist die NAFLD mittlerweile Hauptgrund für eine Lebertransplantation. Dennoch finden Fettlebererkrankungen in Deutschland noch immer zu wenig Beachtung und es gebe keine etablierten (Vorsorge-)Strukturen, um die NAFLD gezielt zu identifizieren und behandeln, kritisiert Prof. Wedemeyer. Der DGVS-Präsident betont mit Blick in die Zukunft, dass sich zwar medikamentöse Therapien für Patienten mit Fettlebererkrankung in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung befinden, aber auch in Zukunft eine gesunde, ausgewogene Ernährung inklusive einer Kalorienreduktion die Grundlage jeder NAFLD-Therapie bilden werde.

Um der zunehmenden Welle von Patienten gerecht werden zu können, die in den kommenden Jahren aufgrund von Krebserkrankungen des Magen-Darm-Trakts sowie und Fettlebererkrankungen behandelt werden müssen, sollte die Rolle der Ernährung bei der Entstehung von Krankheiten weiter ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden. Weiterhin sollte die Ernährungsmedizin auch im kurativen Setting an Aufmerksamkeit gewinnen und Strukturen dafür in Krankenhäusern und Praxen gestärkt werden, so der abschließende Appell der DGVS-Experten.  

[1] Pirlich M et al. Clinical Nutrition 2006; 25:563–572. DOI: 10.1016/j.clnu.2006.03.005

[2] Estes C et al. Journal of hepatology 2018; 69(4):896–904. DOI: 10.1016/j.jhep.2018.05.036

Quelle: DGVS-Jahrespressekonferenz am 14. Juni 2023