Ein Meilenstein für die Telemedizin?Wearables als Frühwarnsystem bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Stephanie Schikora

Smartwatches und Fitness-Tracker sind längst mehr als Lifestyle-Gadgets: Sie analysieren den Schlaf, zeichnen EKGs auf und bestimmen angeblich sogar die fruchtbaren Tage. Aber hätten Sie gedacht, dass es möglich ist, über die damit erhobenen Vitalparameter bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa bevorstehende Schübe frühzeitig vorherzusagen? Aktuellen Studiendaten zufolge ist dies kein abwegiger Gedanke mehr. Veränderungen der per Wearable gemessenen Vitalparameter können auf bevorstehende klinisch relevante Schübe hinweisen – und zwar bis zu 7 Wochen im Voraus.

Wearables registrieren subtile Veränderungen der Herzfrequenzvariabilität schon lange vor dem Schub.
Smallroombigdream/stock.adobe.com
Schon Wochen vor einem Schub: Wearables registrieren subtile Veränderungen der Herzfrequenzvariabilität – ein potenzieller Gamechanger für die CED-Therapie.

In den USA trägt inzwischen jeder Fünfte ein sogenanntes Wearable. Nicht nur bei sportlich aktiven Menschen ist es „en vogue“, jederzeit über (Ruhe-)Herzfrequenz, die Anzahl der gelaufenen Schritte oder die Sauerstoffversorgung etc. Bescheid zu wissen. Auch in der Medizin haben diese Devices bereits vielfach mehr als nur Interesse geweckt. Inzwischen werden wie insbesondere bei kardiologischen Erkrankungen erfolgreich zur telemedizinischen Versorgung eingesetzt. Was Wearables bei Colitis ulcerosa (CU) bzw. Morbus Crohn (MC) leisten können, testete jetzt ein Forscherteam aus New York (New York, USA).

Schlüsselindikator: Herzfrequenzvariabilität

Im Vorfeld hatte das Studienteam die Herzfrequenzvariabilität als geeigneten Messparameter identifiziert. Da die kleinen Veränderungen der Herzfrequenz durch die Aktivität des Sympathikus bzw. des Parasympathikus gesteuert werden, sind sie ein indirektes Maß des autonomen Nervensystems, das wiederum eine wichtige Rolle bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen spielt. In ihrer vorab durchgeführten Pilotstudie hatten die Studienautoren longitudinal über ein tragbares Pflaster gemessene Herzfrequenzdaten mit einer erhöhten Aktivität des Sympathikus und mit erhöhten Entzündungsmarkern und UC-Symptomen in Verbindung bringen können.

Hin zum medizinischen Tool

Für ihre CED-Prognosestudie haben die Studienautoren jetzt insgesamt 309 Teilnehmer mit Colitis ulcerosa (n = 113) und Morbus Crohn (n = 196) im Alter von im Schnitt knapp 40 Jahren rekrutiert und im Median 213 Tage nachbeobachtet. Rund zwei Drittel davon waren Frauen. Bei Studieneinschluss waren gut die Hälfte der Patienten mit einem Biologikum behandelt worden, andere hatten Mesalazin, Kortikosteroide oder Immunmodulatoren erhalten. Nur 4,2% hatten zu diesem Zeitpunkt keine Medikamente eingenommen. Die Krankheitsaktivität wurde anhand der täglichen Angaben der Patienten ermittelt und als PRO-2-Scores dokumentiert (PRO: patient-reported outcome).

C-reaktives Protein, Erythrozytensedimentationsrate (ESR) und das fäkale Calprotectin wurden im Rahmen der normalen medizinische Versorgung der Studienpatienten erfasst. Kontinuierlich über das Wearable getrackt wurden
•    die Herzfrequenz,
•    die Ruheherzfrequenz,
•    die Herzfrequenzvariabilität,
•    die Schrittzahl und
•    die Oxygenierung.

Dabei kamen 3 unterschiedliche Wearables zum Einsatz– eine Apple-Watch, (n = 295), ein Fitbit-Aktivitätstracker (Google; n = 53) oder ein Oura-Ring (Oura Health, n = 16). Die Bitte an die Studienpatienten war, diese Geräte täglich mindestens 8 Stunden zu tragen.

Game-Changer für die CED-Überwachung?

Wie von den Studienautoren prognostiziert, unterschieden sich die zirkadianen Muster der Herzfrequenzvariabilität in den Schub- und Remissionsperioden signifikant. Unterschiede dokumentierten die Studienautoren auch bezüglich der Herzfrequenz und der Ruheherzfrequenz: Während eines Schubes wurden höhere adjustierte Mittelwerte gemessen als in Phasen der Remission. Über die gemessene Schrittzahl konnten die Wissenschaftler darüber hinaus entzündliche und symptomatische Schübe differenzieren. Bemerkenswert war dabei: Alle untersuchten Parameter – einschließlich der gemessenen Sauerstoffsättigung – wiesen bereits bis zu 7 Wochen vor einem dokumentierten Schub signifikante Veränderungen auf.

Bereits vor dem Auftreten von Schüben lassen sich also physiologische Veränderungen messen, betonen die Autoren. Damit könnte man mithilfe von Wearable, die Krankheitsaktivität bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen tatsächlich überwachen und vorherzusagen. Vorstellbar wäre unter Umständen sogar, diese „Vorlaufzeit“ bis zum Schub als therapeutisches Fenster für personalisierte Interventionen zu nutzen, um so das Auftreten klinischer Symptome zu vermeiden.
 

Nach Angaben der Autoren ist diese CED-Prognosestudie die erste große Studie, die zeigt, dass die von Wearables gesammelten physiologischen Metriken entzündliche und symptomatische Schübe identifizieren, differenzieren und sogar bis zu 7 Wochen im Vorfeld vorhersagen können. Smart-Watches bzw. Aktivitätstracker haben also durchaus das Potenzial, bei der Überwachung von entzündlichen Erkrankungen, wie z.B. entzündlichen Darmerkrankungen, mit Mehrwert eingesetzt zu werden. Zudem erwarten die Studienautoren durch die Weiterentwicklung solcher digitaler Technologien, den physiologischen Zustand eines CED-Pateinten häufig, passiv und in Echtzeit zu beurteilen zu können. So ließen sich Datenlücken schließen, die durch traditionelle Methoden der Überwachung der Krankheitsaktivität aktuell viel zu oft entstehen.