Innovation im Kampf gegen Diabetes „Molekularer Klebstoff“ – Lebensretter für Betazellen?

Ein internationales Forschungsteam hat einen neuen Ansatz entwickelt, um insulinproduzierende Betazellen vor diabetesbedingten Schäden zu bewahren. Spezielle Moleküle – sogenannte molekulare Klebstoffe – stabilisieren eine entscheidende Protein-Interaktion, die den Zelltod verhindert. Die Erkenntnisse könnten den Weg für neuartige Therapien ebnen.

Molekularer Klebstoff - eine neue Strategie zur Bewahrung der Betazell-Funktion
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Eine völlig neue Strategie zur Bewahrung der Betazell-Funktion nutzt einen molekularen Klebstoff, der eine entscheidende Protein-Interaktion stabilisieren und so den Zelltod verhindern kann.

 

Die anhaltend hohe Belastung durch Zucker und Fette im Blut – die sogenannte Glukolipotoxizität – führt insbesondere im Rahmen eines Typ-2-Diabetes dazu, dass Betazellen geschädigt und schließlich zerstört werden. Die fatalen Folgen sind bekannt: Ohne die insulinproduzierenden Betazellen kann im Pankreas kein Insulin mehr gebildet werden, das den Blutzuckerspiegel im Körper reguliert.

Diesem Verlust der funktionellen Betazellmasse wirksam gegensteuern zu können, ist nach wie vor eines der wichtigsten sogenannten „unmet needs“ der Therapie des Typ-2-Diabetes. Denn bisherige Therapieansätze zielen hauptsächlich auf die Insulinresistenz und -sekretion ab, können aber den Verlust funktionsfähiger Betazellen nicht verhindern, weshalb die Patienten schließlich insulinabhängig werden.

Wenn der Zellschutz versagt

Ein internationales Forschungsteam hat nun herausgefunden, dass sich dieser Prozess gezielt aufhalten lässt: Normalerweise schützen viele verschiedene Faktoren die Betazellen vor Überlastung, unter anderem indem sie eine Bindung zwischen dem Stoffwechselregulator ChREBPα (genauer gesagt: ein Transkriptionsfaktor) und dem Protein 14-3-3 vermitteln, das an der Regulation der Insulinsekretion, der Proliferation und dem Überleben von Betazellen beteiligt ist. Doch genau dieser Schutzmechanismus versagt, sobald der Blutzuckerspiegel zu stark und zu oft ansteigt: Die Bindung löst sich, und die Zellen sind der Glukolipotoxizität schutzlos ausgeliefert.

Der stille Killer: Wie Glukolipotoxizität Betazellen zerstört

Hintergrund

MLXIPL, das Gen, das ChREBP exprimiert, produziert 2 Haupt-Isoformen des Transkriptionsfaktors: ChREBPα und ChREBPβ. Über seine Wechselwirkung mit dem Protein 14-3-3 wird die α-Isoform im Zytosol gehalten, während die sich die β-Isoform als nuklearer Transkriptionsfaktor im Zellkern befindet. Unter gesunden Bedingungen wird durch Glukose die Wechselwirkung zwischen ChREBPα und dem Protein 14-3-3 gekappt, ChREBPα wandert in den Zellkern, induziert die ChREBPβ-Transkription und damit die Betazellexpansion, um den Insulinbedarf zu decken. Halten die hyperglykämischen Bedingungen an, wird eine robuste positive Rückkopplungsschleife ausgelöst, und eine verstärkte ChREBPβ-Synthese führt schließlich zur Apoptose der Betazellen. Die spezifische Stabilisierung ChREBPα/14-3-3-durch den molekularen Klebstoff soll den Anstieg der ChREBPβ-Expression verhindern und so das Überleben der Betazellen sichern.

Als wichtiger Mediator bei der Reaktion der Betazellen auf Glukose steuert ChREBPα die Expression von glykolytischen und lipogenen Genen – und wäre daher ein interessantes Target im Rahmen der Diabetestherapie. Die Krux dabei: Transkriptionsfaktoren wie ChREBP mangelt es an geeigneten Ligandenbindungsstellen – und damit an therapeutischen Zielstrukturen, die mit gängigen Wirkstoffen erreicht werden können. Dies umgeht das Forschungsteam und nutzt die Interaktion von ChREBP mit dem Protein 14-3-3, die der Regulation des Aktivierungsmechanismus für ChREBP dient.

Stabilität durch molekulare Klebstoffe

Aus röntgenkristallografischen Untersuchung weiß man, dass freie Sulfat- und Phosphationen, aber auch Adenosinmonophosphat (AMP) und Ketonkörper diese Protein-Protein-Interaktion zumindest leicht stabilisieren. Jetzt gelang es den Studienautoren, diese Bindung mit neu entwickelten molekularen Klebstoffen gezielt zu verstärken und so die transkriptionelle Aktivität von ChREBPα unter anhaltenden hyperglykämischen Bedingungen hemmen – ohne ein direktes Targeting zu benötigen. Dadurch werden die Betazellen vor den toxischen Folgen des hohen Blutzuckers bewahrt, was ihren Funktionsverlust aufhält und womöglich das Fortschreiten von Diabetes verlangsamt.

Bisher galten Transkriptionsfaktoren wie ChREBP als kaum beeinflussbare Zielstrukturen für Medikamente. Die nun entdeckte Strategie durch molekulare Klebstoffe öffnet völlig neue Perspektiven: "Zum ersten Mal ist es gelungen, mit kleinen Molekülen die Aktivität von ChREBP gezielt zu steuern – ein Meilenstein mit enormem therapeutischem Potenzial," erklärt Prof. Markus Kaiser von der Universität Duisburg-Essen, in einer begleitenden Pressemeldung.

Die Entdeckung dieser Schutzmechanismen könnte die Diabetesbehandlung revolutionieren. „Unsere Forschung zeigt eine völlig neue Strategie zur Bewahrung der Betazell-Funktion“, betont Kaiser. „Dieser Ansatz könnte bestehende Therapien ergänzen und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen.“ Der nächste Schritt besteht darin, die molekularen Klebstoffe weiter zu optimieren und in präklinischen Modellen zu testen. Gelingt die Weiterentwicklung, könnten diese neuen Wirkstoffe einen entscheidenden Beitrag zur Behandlung von Diabetes leisten – und Millionen von Menschen eine bessere Zukunft ermöglichen.

Quelle: Katz LS et al. Nat Commun 2025; 16: 2110. DOI: 10.1038/s41467-025-57241-7