Expertenbeitrag:Histaminintoleranz: Medizinisch kein einfach zu diagnostizierendes Krankheitsbild

Die Histaminintoleranz (HIT) ist aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Symptome und ihrer großen Präsenz in Medien eine von Patienten häufig gestellte Selbstdiagnose. Eine medizinisch gesicherte Diagnosestellung ist allerdings gar nicht so einfach. Unser Experte Prof. Dr. Martin Storr erläutert in diesem Beitrag, wie in einem Verdachtsfall vorzugehen ist und ob die Bestimmung der Diaminoxidase (DAO) einen diagnostischen Wert hat.

Stress, stomach pain and woman on a sofa with menstruation, gas or constipation, pms or nausea at home. Gut health, anxiety and lady with tummy ache in living room from ibs, bloated or endometriosis
Malik/peopleimages.com/stock.adobe.com. Posed by a model.

Bei einer Histaminintoleranz kann es zu Blähungen, Durchfall, Stuhldrang, Übelkeit und krampfartigen Schmerzen nach der Nahrungsaufnahme kommen.

Grundsätzlich sind das Vorgehen bei Diagnostik und Therapie einer Histaminintoleranz in der Leitlinie zum Reizdarmsyndrom beschrieben. Darin wird auch von einer Bestimmung des Enzyms Diaminoxidase (DAO) abgeraten, wenngleich diese manchmal in der Diagnose eingesetzt wird. Medizinisch kann die Verdachtsdiagnose gestellt werden, wenn nach dem Konsum von histaminreichen Lebensmitteln reproduzierbar und nachvollziehbar Beschwerden auftreten, die zu einer Histaminintoleranz passen.

Die medizinische Diagnosesicherung kann mit einer 2-wöchigen Eliminationsdiät, gefolgt von einer diätetischen Belastungsprobe (z.B. Rotwein, gereifter Käse, Sauerkraut) sehr einfach gestellt werden. Dies erfordert aber die Mitarbeit der Patienten und ggf. die Unterstützung durch Sachbücher oder eine ernährungsmedizinische Begleitung. Nach gestellter Diagnose kann eine zusätzliche Ernährungsberatung hilfreich sein, aber erst, wenn eine sichere Diagnosestellung erfolgt ist. Gerade weil Patienten anhand eigener Internetrecherche gerne die Selbstdiagnose einer Histaminintoleranz stellen, sind edukative Maßnahmen wie Vortragsveranstaltungen und Sachbücher wichtige Maßnahmen um die Eigenverantwortlichkeit auf medizinisch Fundiertes zu lenken.

Merke: Edukative Maßnahmen wie Vortragsveranstalltungen und Sachbücher sind wichtige Maßnahmen!

Zwei aktuelle Studien helfen uns im Zusammenhang mit dem fachlich korrekten Umgang mit Verdachtsdiagnose oder bestätigter Diagnose Histaminintoleranz weiter.

Wie steht es um Labordiagnostik?

Die Wertigkeit der DAO Labordiagnostik wurde an einem Populations-basiertem Kollektiv von 1051 Probanden aus Schweden untersucht (Nutrients, 2023 Jun 26;15(13):2887). In diesem Kollektiv, dass ursprünglich für die Schweden-Asthma-Studie erstellt wurde, wurden demografische Faktoren, Asthmasymytome, Allergiesymptome und Lebensstilfaktoren, ebenso wie spezifische IgE-Antikörper untersucht und die DAO-Aktivität im Serum gemessen. 44% der Teilnehmer hatten erniedrigte DAO-Werte, Beschwerden in Zusammanhang mit Histamin in der Ernährung waren selten. Zunehmendes Alter und bei Frauen auch erhöhter BMI waren mit einer höheren DAO-Aktivität assoziiert. Die Studie fand keinen Zusammenhang zwischen DAO-Spiegeln und berichteten Symptomen bei histaminreichen Lebensmitteln.

Basierend auf dieser Studie lässt sich festhalten, dass die Bestimmung des DAO-Enzyms bei der Histaminintoleranz keinerlei diagnostischen Wert hat und unterlassen werden kann, und dass die derzeitigen Cut-off-Werte von der DAO-Aktivität re-evaluiert werden sollten, da in der untersuchten Kohorte 44% der zumeist symptomfreien Teilnehmer erniedrigte Werte aufwiesen.

Merke: Finger weg von DAO-Bestimmung!

Welche Diagnostik führt zur Diagnose?

In einer weiteren Studie wurde bei 59 Patienten mit vermuteter Histaminintoleranz eine einfach blinde, kontrollierte Histaminbelastung durchgeführt ( J Allergy Clin Immunol Pract. 2023 Aug 28;S2213-2198(23)00952-2). Die eingeschlossenen Patienten waren überwiegend Frauen mittleren Alters. Drei Viertel berichteten über eine Verbesserung der Symptome während der histaminarmen Diätphase, ein Verschwinden der Symptome wurde in keinem Fall berichtet. 62,7 % zeigten Symptome unter Belastung mit Placebo. Eine Histaminintoleranz wurde bei 50 Patienten (84,7 %) ausgeschlossen. In vier von 59 Teilnehmern (6,8 %) traten objektivierbare Symptome nach einer Histamin-, nicht aber nach einer Placebobehandlung auf. Bei diesen Patienten wurde eine "plausible Histaminintoleranz" diagnostiziert, da zufällige Reaktionen durch das Belastungsprotokoll nicht ausgeschlossen werden konnten. 

Bei weiteren fünf Patienten (8,5 %) wurde nach einer Detailanalyse eine "mögliche Histaminintoleranz" diagnostiziert. Patienten mit plausibler/möglicher Histaminintoleranz (15,3%) berichteten über mehr gastrointestinale Symptome (p=0,01), der Histamin-Prick-Test war nicht unterschiedlich zu Patienten ohne Histaminintoleranz. Die Bestimmung der DAO ergab keine signifikanten Unterschiede.

Merke: Menschen mit gesicherter Histaminintoleranz haben überwiegend gastrointestinale Symptome!

Basierend auf dieser Studie lässt sich festhalten, dass bei klinisch vermuteter Histaminintoleranz durch eine einfach blinde, kontrollierte Histaminbelastung in 6,8% der Fälle eine Histaminintoleranz gesichert und in 84,7% ausgeschlossen werden kann.  Bei den gesicherten Histaminintoleranzen bestehen signifikant häufiger gastrointestinale Beschwerden. 

Merke: Placebo-kontrollierte verblindete Histaminbelastung ist der Goldstandard!

Unklar verbleibt, an welcher Stelle im Gesundheitssystem die Diagnostik erfolgen soll, so dass gerade bei Beschwerden der Histaminintoleranz die Eigenverantwortlichkeit der Patienten, in Kombination mit Hilfsmitteln und Anleitungen der Fachgesellschaften, Ernährungsberatung und Sachbüchern, in den Vordergrund rückt. Dies ist bei einem Patientenkollektiv, das oftmals anhand von eigener Internetrecherche und eigener Internetlektüre die Verdachtsdiagnose gestellt hat, ein gangbarer Weg, solange fachlich fundiertes Material zur Verfügung steht.

Prof. M. Storr, MHBA, Zentrum für Endoskopie Starnberg