
Eine Operation bedeutet Stress für Körper und Seele. Ein belastender Ausnahmezustand, für dessen Bewältigung der Körper Energiereserven in Form von Zucker mobilisiert. „Dass es während größerer Operationen zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels kommt, ist daher zunächst einmal als normale Anpassungsreaktion zu werten“, sagt Prof. Thomas Schmitz-Rixen, Frankfurt, Generalsekretär der DGCH.
Schlecht eingestellter Diabetes erhöht Komplikationsrisiko
Problematisch kann ein solcher Zuckerschub aber dann werden, wenn er auf einen ohnehin bereits erhöhten Blutzuckerspiegel trifft: Hohe Zuckerwerte schwächen die Immunfunktion, fördern die Ausscheidung von Wasser, können damit zu Austrocknung führen und verändern die Gerinnungsneigung – um nur die wichtigsten Effekte zu nennen. „Ein schlecht eingestellter Blutzucker steigert daher die Komplikationsrate bei Operationen, von Infektionen über Thrombosen und Wundheilungsstörungen bis hin zur Notwendigkeit eines weiteren Eingriffs“, ergänzt Prof. Roland Goldbrunner, Köln, Präsident der DGCH. Das Risiko, im Zusammenhang mit der Operation zu versterben, ist bei Diabeteserkrankten um bis zu 50% erhöht [1].
Wie man heute weiß, ist es weniger der Diabetes an sich, sondern vielmehr eine mangelhafte Blutzuckereinstellung im Vorfeld des chirurgischen Eingriffs, der diese Risiken in die Höhe treibt. „Ist ein Diabetes bekannt, sollten Patienten ihn beim Vorgespräch daher auf jeden Fall erwähnen und für eine gute Blutzuckereinstellung in den Wochen vor der Operation sorgen“, sagt Schmitz-Rixen und betont, dass geplante Eingriffe bei zu hohen Blutzuckerwerten durchaus auch verschoben werden könnten.
In der chirurgischen Praxis: den Blutzucker im Blick haben
Für diese Entscheidung sollte nicht nur der aktuelle Blutzuckerwert herangezogen werden – er sollte nüchtern nicht über 180 Milligramm pro Deziliter liegen –, sondern auch der HbA1c-Wert, der vor einer Operation einen Zielbereich von 8–9% nicht überschreiten sollte. „Leider gibt es hier noch keine einheitlichen Grenzwerte, und in der chirurgischen Praxis werden diese Messungen selbst bei bekanntem Diabetes nicht immer vorgenommen“, bedauert Goldbrunner.
Noch deutlich mehr Aufklärungsbedarf sehen die DGCH Vorstände in Bezug auf die Diabetes-Dunkelziffer. In Deutschland leben zusätzlich zu den 9 Millionen Menschen mit einem diagnostizierten Typ-2-Diabetes schätzungsweise 2 Millionen, die noch nichts von ihrer Erkrankung wissen.
„Untersuchungen legen nahe, dass bei mindestens 10% der Patientinnen und Patienten in der Chirurgie ein bislang unerkannter Typ-2-Diabetes vorliegt“, so Schmitz-Rixen. Die DGCH plädiert daher für die Anwendung eines selektiven präoperativen Blutzuckerscreenings, wie es Empfehlungen vorsehen [2]. „Der Nüchternblutzucker sollte zumindest vor Operationen mit hohem eingriffsbezogenem Risiko, bei Vorliegen von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren und bei einem Body-Mass-Index von mehr als 30 kg/m2 bestimmt werden“, erläutert der DGCH-Generalsekretär.
Kinder und Jugendliche immmer öfter betroffen
Ein unbekannter Typ-2-Diabetes als Risikofaktor bei Operationen dürfte auch bei Kindern und Jugendlichen künftig an Relevanz gewinnen – der Altersgruppe, der der Tag der Patientensicherheit in diesem Jahr gewidmet ist. „Zwar ist der Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen mit einer Prävalenz von 18 von 100.000 noch recht selten“, sagt Prof. Udo Rolle, Frankfurt, Pastpräsident der DGCH. „Allerdings ist die Häufigkeit in den vergangenen Jahren stark gestiegen und steigt noch immer an.“
Gerade bei stark übergewichtigen Kindern und Jugendlichen komme einem Diabetes-Screening vor chirurgischen Eingriffen daher eine besondere Bedeutung zu. „Hier ist mit geringem Aufwand ein großer Gewinn an Sicherheit zu erzielen“, so Rolle. Eine Messung des Blutzuckers schlage nur mit wenigen Cent zu Buche. Und auch die im Falle erhöhter Blutzuckerwerte angeratene HbA1c-Bestimmung sollte mit Kosten von rund 2 Euro keine finanzielle Hürde darstellen.
Literatur
[1] Positionspapier der DDG zur Therapie des Diabetes Mellitus im Krankenhaus vom 5. August 2018
[2] Zollner C et al. Anästh Intensivmed 2024; 65: 240–270. DOI: 10.19224/ai2024.240


