
Was visuell attraktiv ist und schmackhaft erscheint, gewinnt im hungrigen Zustand die Oberhand – Nährwertinfos verlieren an Relevanz.
Hungrig einkaufen zu gehen, ist keine gute Idee – wer hat dies noch nicht an sich selbst beobachtet. Der Einkaufswagen scheint sich von ganz allein zu füllen und was noch schwerer wiegt: Hungrig greifen wir offensichtlich verstärkt zu weniger gesunden, dafür appetitlich angerichteten, schmackhafteren und in der Regel auch kalorienreicheren Lebensmitteln. Zwei Hamburger Neurowissenschaftler wollten jetzt wissen, welche kognitiven Mechanismen diesem Phänomen zugrunde liegen.
Worauf das Gehirn beim Essen wirklich achtet
Dafür haben sie 70 Erwachsene aus Hamburg und Umgebung gewonnen, die jeweils 2 Versuchsschleifen durchlaufen mussten: Einmal hungrig und einmal gesättigt wählten die Probanden aus 2 Essensoptionen: einer gesünderen, aber weniger schmackhafteren, und einer ungesunden, aber dafür umso schmackhafteren Option. Beide Varianten waren mit dem Nutri-Score versehen.
Per Eye-Tracking erfassten die Wissenschaftler, welche Informationen die Probanden beim Entscheiden besonders beachteten. Die Auswertung erfolgte mithilfe eines computergestützten Entscheidungsmodells, dem sogenannten „multi-attribute attentional Drift Diffusion Model“.
Hunger verändert, worauf wir achten – und wie wir entscheiden
Das Ergebnis: Bereits im Normalzustand bevorzugten die meisten Studienteilnehmenden geschmacklich ansprechender präsentierte Lebensmittel. Im hungrigen Zustand wurde dieser Effekt deutlich verstärkt. Die Aufmerksamkeit wanderte eher zu den visuell und geschmacklich attraktiveren Optionen – während die Nährwertinformationen seltener beachtet wurden. Gleichzeitig wurden Entscheidungen im hungrigen Zustand schneller getroffen.
„Hunger verändert also die Gewichtung von Informationen im Entscheidungsprozess. Geschmack bekommt mehr Gewicht, Gesundheitsaspekte geraten aus dem Blickfeld“, fasst Jennifer March, Hamburg, die Studienergebnisse zusammen.
Mehr Aufmerksamkeit für Gesundheit: Nudging, Platzierung und visuelle Verstärkung
Die Ergebnisse legen nahe, dass einfache Maßnahmen wie Nährwertkennzeichnungen allein möglicherweise nicht ausreichen, um gesunde Essensentscheidungen zu fördern – vor allem nicht bei hungrigen Menschen. Zukünftige gesundheitsfördernde Maßnahmen sollten deshalb besonders darauf abzielen, die Aufmerksamkeit stärker auf gesunde Aspekte zu lenken, etwa durch visuelle Hervorhebungen oder intelligente Platzierung in Supermärkten und Kantinen.
„Hunger verändert nicht nur unser Verhalten, sondern auch, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet“, betont Prof. Sebastian Gluth, Hamburg. „Wer gesunde Entscheidungen fördern möchte, sollte das Entscheidungsverhalten unter realen Bedingungen – inklusive Hungergefühl – stärker in den Blick nehmen.“
Literatur: March J, Gluth S. eLife 2025. DOI: 10.7554/eLife.103736.2
Quelle: Pressemeldung „Wenn Hunger die Wahrnehmung steuert“ vom 24.04.2025, herausgegeben von der Universität Hamburg