
Der Hunger nach Kohlenhydraten ist mit der allgemeinen Schwere der Depression assoziiert.
Heißhungerattacken – die sich häufig auf süße Lebensmittel erstrecken – können ebenso wie ein Verlust des Appetits Zeichen einer Depression sein. Gerade Personen mit schweren Depressionen berichten häufig über Veränderungen ihrer Essensvorlieben. Behandelt werden diese Symptome einer Depression in der Regel nicht; unter der Therapie mit Antidepressiva können sie sich sogar verschlimmern. Sie sind aber über die Episoden vergleichsweise stabil und könnten möglicherweise mechanistisch unterschiedliche Subtypen der Depression widerspiegeln.
Trotz dieser Beobachtungen ist bisher wenig zu den Essenspräferenzen von Menschen mit Depressionen bekannt, obwohl diese vielleicht neue Therapieansätze befördern könnten. Hier setzten Forscher aus Tübingen und Bonn an. Sie wollten wissen, wie sich die Vorlieben für verschiedene Nahrungsmittel bei Patienten mit Major Depression im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen unterscheiden.
Bewertung von Nahrungsmittelreizen
Dazu identifizierten sie im Rahmen einer laufenden Querschnittstudie eine Stichprobe von 117 Studienteilnehmern. 54 der ausgewählten Probanden litten unter einer diagnostizierten Major Depression, die übrigen 63 Personen waren gesunde Kontrollen; etwa 60% waren Frauen. Im Schnitt waren die Studienteilnehmer etwa 30 Jahre alt, und wiesen einen Body-Mass-Index (BMI) von etwa 23,5 kg/m² auf.
Ausschlusskriterien waren eine komorbide Erkrankung wie Schizophrenie, bipolare Störungen, schwerer Substanzmissbrauch oder eine schwere neurologische Erkrankung. Zudem durften im vergangenen Jahr weder Ess- noch Zwangsstörungen oder somatische Symptomstörungen aufgetreten sein, auch unverarbeitete Traumata durften nicht vorliegen.
Unter anderem absolvierten die Probanden eine Aufgabe zur Reaktivität auf Nahrungsmittelreize, wobei sie 60 Bilder von Nahrungsmitteln und 20 andere Bilder bewerten sollten. Sie sollten angeben, wie sehr ihnen der dargestellte Gegenstand auf dem Bild gefällt (Mögen) und wie gerne sie diesen erhalten möchten (Wollen). Zusätzlich wurden die Zusammensetzung der abgebildeteten Lebensmittel analysiert, um den Einfluss der enthaltenen Makronährstoffe auf die Bewertungen zu untersuchen.
Kohlenhydrate auch in Kombination gefragt
Tatsächlich konnten die Studienautoren spezifischen Veränderungen in den Essensvorlieben erkennen, die sich durch die Zusammensetzung der gezeigten Lebensmittel an Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten gut erklären lassen. Bei den Studienteilnehmern mit Depressionen bestand ein geringeres Verlangen nach fett- und proteinreichen Lebensmitteln als bei den gesunden Kontrollpersonen. Im Gegensatz zu diesen bevorzugen sie eher kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Süßigkeiten.
Ein höherer Anteil von Kohlenhydraten führte auch zu einer Aufwertung von fett- und proteinreicher Nahrung bei Menschen mit Depressionen. Sie hatten also auch ein erhöhtes Verlangen nach Lebensmitteln, in denen zum Beispiel Fett und Kohlenhydrate kombiniert werden. Besonders fetthaltiges Essen begünstigt dabei eine eher ungesunde Ernährung.
Belohnungsantwort im Gehirn ist der Schlüssel
Wurde bislang vermutet, dass das Verlangen nach kohlenhydratreichen Lebensmitteln mit einem gesteigerten Appetit zusammenhängt, widerlegt die aktuelle Studie diese Assoziation. Anscheinend lösen fett- oder proteinreiche Lebensmittel allein bei Menschen mit Depressionen eine geringere Belohnungsantwort im Gehirn aus, was Depressive durch einen hohen Anteil an Kohlenhydraten in ihrer Nahrung ausgleichen. „Tatsächlich hängt der Hunger nach Kohlenhydraten eher mit der allgemeinen Schwere der Depression, besonders der Angstsymptomatik zusammen“, erläutert Erstautorin Lilly Thurn, Maastricht (Niederlande).
Ausblick
In Zukunft die Ernährung mehr im Blick haben
Die Ergebnisse der Studie werfen nun weitere Fragen für die zukünftige Forschung und Behandlung auf. „Da kohlenhydrathaltige Lebensmittel die Belohnungsantwort im Gehirn über andere Signalwege steuern als fett- und proteinreiche Lebensmittel, könnte man daraus möglicherweise bessere Behandlungsansätze ableiten“, erklärt Prof. Nils Kroemer, Bonn.
In Zukunft könnte man daher eine begleitende Therapie über die Ernährung testen, wenn bei einer Depression eine veränderte Vorliebe für bestimmte Lebensmittel auftritt. Es könnte zudem untersucht werden, ob durch die Optimierung der Ernährung eine dauerhafte Verbesserung der Depression möglich ist.
„Besonders vielversprechend erscheinen in Zukunft Therapien, die auf die Verbindung von Darm und Gehirn abzielen. Erste Studie zeigen bereits, dass Fasten oder auch probiotische Lebensmittel antidepressiv wirken können“, so Thurn. „Auch konnte untersucht werden, dass Menschen mit Depressionen Veränderungen in ihrem Mikrobiom aufweisen, die diverse Symptome verstärken könnten.“
Quellen:
1.Thurn L et al. Psychol Med 2025; 55:e20. DOI: 10.1017/S0033291724003581
2. Pressemeldung “Depression geht durch den Magen – Studie untersucht die Ernährungsvorlieben von depressiven Personen“ vom 05.02.2025, herausgegeben vom Universitätsklinikum Bonn