
Nicht nur in der Klinik, auch im häuslichen Umfeld: Die „Leitlinie Medizinische Ernährung im häuslichen Umfeld“ will aufklären und evidenzbasierte Lösungen bereitstellen.
Mit einer grundlegenden Überarbeitung der Leitlinie, die im Frühsommer 2024 publiziert wurde, versuchte man, der zunehmenden Bedeutung gerecht zu werden, die der medizinischen Ernährung im ambulanten Bereich zukomme, so Prof. Stephan Bischoff, Stuttgart, der die Leitlinie für die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) koordiniert hat. Sowohl der demografische Wandel als auch die verbesserten Überlebenschancen von Menschen mit schweren und chronischen Erkrankungen erhöhten den Bedarf für diese wichtige und oft lebensrettende Therapie. Hinzu komme die zunehmende Ambulantisierung mit dem Trend zu immer kürzeren stationären Liegezeiten.
Enteral oder parenteral – auch im häuslichen Umfeld
Grundsätzlich wird zwischen 2 Formen der medizinischen Ernährung im häuslichen Umfeld unterschieden: der heimenteralen (HEE) und der heimparenteralen Ernährung (HPE). Beide Ernährungsformen könnten sowohl dauerhaft als auch kurzfristig zur Überbrückung angewendet werden.
In der Regel wird eine enterale oder parenterale medizinische Ernährung bereits im Krankenhaus begonnen. Wenn sie nach der Entlassung fortgeführt werden soll, muss der betreuende Arzt – meist der Hausarzt – die Notwendigkeit erneut bestätigen. „Hier besteht oft eine große Verunsicherung“, so Bischoff. Ziel der aktualisierten Leitlinie sei es, zur Aufklärung beizutragen und evidenzbasierte Lösungen anbieten. Das sei auch im Hinblick auf rechtliche Auseinandersetzungen wichtig – nicht zuletzt gegenüber den Krankenkassen, die sich mitunter weigern, die Kosten zu übernehmen.
Leitliniengereicht ist eine HEE oder HPE ist immer dann indiziert, wenn Patienten ihren Nährstoffbedarf nicht auf normalem Wege decken können (s. ► Kasten). Das muss nicht nur bereits mangelernährte Personen betreffen. Auch bei Personen, deren bislang guter Ernährungszustand ohne medizinische Ernährung gefährdet wäre, kann eine medizinische Ernährung angeraten sein.
Entscheidend ist das bestehende Ernährungsrisiko
Entscheidend ist dabei das so genannte Ernährungsrisiko: Eine Verschlechterung des Ernährungszustands droht immer dann, wenn Patienten eine Woche lang nicht essen können oder wenn die tägliche Energieaufnahme 1–2 Wochen lang unter 60 % des geschätzten Bedarfs liegt. Dann kann eine zusätzliche oder ausschließliche medizinische Ernährung die Genesungsoder Überlebenschancen deutlich verbessern. „Lange Zeit wurde unterschätzt, welch gravierende Folgen ein schlechter Ernährungszustand haben kann“, sagt Bischoff.
Im Idealfall ist eine HEE oder HPE nur vorübergehend notwendig; bei schwerwiegenden chronischen Erkrankungen wie dem Kurzdarmsyndrom oder einem Darmversagen kann die medizinische Ernährung aber auch dauerhaft notwendig sein. „Die Voraussetzungen dafür, eine medizinische Ernährung zu beginnen oder weiterzuführen, sind dabei zu Hause die gleichen wie in der Klinik“, sagt Bischoff.
Sterbephase nicht verlängern
So sollten HEE und HPE nur nach umfassender Aufklärung und mit dem Einverständnis der Betroffenen oder der Angehörigen erfolgen. Außerdem sollten sie nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn Lebensqualität und Ernährungszustand anders nicht zu erhalten sind, und wenn überhaupt eine Verbesserung oder eine Erhaltung des Ausgangszustands zu erwarten sind. Das ist spätestens dann nicht mehr der Fall, wenn die Lebenserwartung aufgrund der Ausgangserkrankung bereits auf wenige Wochen gesunken ist. „Wenn nur die Sterbephase verlängert würde, sollten HEE und HPE grundsätzlich unterbleiben“, so Bischoff.
Indikationen und Zugangswege
Eine heimenterale Ernhrung (HEE) kommt v. a. bei Patienten zum Einsatz, die unter neurologischen Erkrankungen mit Schluckstörungen leiden, aber auch bei Kopf- und Halstumoren, gastrointestinalen Tumoren und anderen Magen-Darm-Erkrankungen, Zerebralparese oder bestimmten Stoffwechselerkrankungen. Die Nahrungslösung wird in den Magen oder in den Dünndarm eingeleitet und kann die dahinter liegenden Abschnitte des Verdauungssystems noch durchlaufen.
Bei der heimparenteralen Ernährung (HPE) dagegen wird ein intravenöser Zugang gelegt, somit umgehen die Nährstoffe den gesamten Verdauungstrakt. Hauptindikationen sind hier das Kurzdarmsyndrom und das chronische Darmversagen, z.B. aufgrund einer Krebs- oder einer gutartigen Darmerkrankung.